Beim Einkaufen Deutsch lernen Das Projekt "Deutsch im Tellizentrum" will Migrantinnen ungezwungen und alltagsnah Sprache vermitteln Artikel in der AZ Vom 7.
September 2004 Vor dem Einkaufszentrum Telli steht zweimal pro Woche ein Marktstand der besonderen Art: Statt belegter Brote und Getränken werden Worte angeboten - allerdings umsonst. Rund zwölf Frauen machen regelmässig von diesem Kursangebot gebrauch. "Es gehört viel Mut dazu, hier öffentlich einzugestehen, dass man kein Wort Deutsch kann", sagt Franziska Meier. Sie ist Projektleiterin von "Deutsch im Tellizentrum". Lehrerin und Schülerinnen treffen sich nicht in einem Schulzimmer, sondern draussen vor dem Einkaufszentrum. Eigentlich ist der Kurs nicht ausschliesslich für Frauen gedacht. Doch wie die Erfahrung zeigt, sind sie es, die vom Angebot Gebrauch machen. Die Männer lernen häufig am Arbeitsplatz Deutsch und sind gesellschaftlich besser integriert. Eine Frau sitzt gebeugt am Tisch. Ihr Kopftuch bedeckt
einen Grossteil des Gesichts. Ihre Augen haften an den Bildern und Wörtern,
die sie vor sich liegen hat. Konzentriert schiebt sie die Kärtchen
hin und her. "Der Lauch", "die Zwiebel" oder "das
Radieschen" steht da geschrieben. Jetzt gilt es, die Begriffe den
Bildern richtig zuzuordnen. Das ist keine leichte Aufgabe, denn der Frau
aus dem Irak ist nicht nur die deutsche Sprache unbekannt, sondern auch
die Schrift. MEHR ALS "NUR" EIN SPRACHKURS "Unser Ziel ist es, die Leute "gluschtig"
zu machen, so Franziska Meier. Den Frauen soll die deutsche Sprache ganz
ungezwungen und alltagsnah vermittelt werden. So will die Aktion, die
auch Teil des Siedlungsentwicklungsprojektes "Allons-y Telli"
ist, mehr sein als ein Sprachkurs - sie ist als Integrationsprojekt gedacht.
"Den Teilnehmenden sollen alltägliche Handlungen wie Einkaufen
oder zur Post gehen erleichtert werden", sagt Franziska Meier. Viele
von ihnen trauten sich kaum alleine in die Öffentlichkeit, müssten
den Einkauf immer mithilfe des Ehemanns, einer Freundin oder einem Kind
erledigen und seien hilflos, wenn etwa ein Problem an der Kasse oder mit
einer Ware auftrete. "VIELE MÜSSEN DAFÜR KÄMPFEN" Alleine durchkämpfen muss sich die Frau aus Thailand.
Sie ist erst zwei Monate in der Schweiz und spricht kaum Deutsch. Das
Lesen geht aber schon ganz gut. "Ich trinke ein Glas Milch",
sagt sie laut vor sich hin - nur das "R" auszusprechen bereitet
ihr grosse Mühe. Sie lacht über sich selbst, und ihr Gegenüber
lacht mit. Die Frau aus dem Kosovo buchstabiert der Thailänderin
vor: "trrrinke". Eigentlich ist der Kurs nicht ausschliesslich
für Frauen gedacht. Doch wie die Erfahrung zeigt, sind sie es, die
vom Angebot Gebrauch machen. Die Männer lernen häufig am Arbeitsplatz
Deutsch und sind gesellschaftlich besser integriert. Die Frauen hingegen
bleiben zu Hause und sind oft fast ganz von der Umgebung ausgeschlossen.
Das grösste Problem für die Projektverantwortlichen ist deshalb
auch, mit ihrem Angebot überhaupt an die Frauen heranzukommen. In
der Telli erfahren die Migrantinnen über so genannte Multiplikatorinnen
vom Sprachkurs - über Frauen, die sie im Einkaufszentrum in ihrer
Muttersprache einladen. "Ich bin überzeugt von diesem Konzept",
so die Projektleiterin.
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